Wladimir Klitschko: „Ich habe noch eine Rechnung offen“

Wladimir Klitschko steht am Balkonfenster einer Loge in der Düsseldorfer Esprit-Arena. Unten auf dem Rasen spielt Fortuna Düsseldorf gegen den MSV Duisburg. Ein Zweitligaspiel mit Rekordquote, das Stadion ist ausverkauft. Die Begeisterung der Fans fesselt den Boxweltmeister sofort, auch wenn er kein Fortuna-Fan ist. Doch jetzt wirbt Klitschko für Düsseldorf, er will am 20. März mehr als 50 000 Zuschauer in die Düsseldorfer Arena locken, wenn er gegen seinen Herausforderer Eddie Chambers kämpft. Deswe- gen hat sich Klitschko vor dem Spiel auf den Rasen gestellt und die Fans angefeuert.

Welt am Sonntag: Die Klitschko-Brüder machen der Welt Glauben, nur große Boxer könnten auch erfolgreiche Schwergewichtler sein.

Klitschko: Natürlich gibt es in der Geschichte des Schwergewicht- Boxens viele große Kämpfer. Muhammad Ali und Larry Holmes waren fast genauso groß wie wir. Lennox Lewis auch. Aber die Größe ist nicht ausschlaggebend. Mike Tyson, Joe Louis oder Max Schmeling waren von Gewicht und Körpergröße ganz anders als wir, aber sehr erfolgreich. Jeder Boxer versucht, das Beste aus seinen körperlichen Merkmalen zu machen. Der kleinere Boxer will schneller und beweglicher sein. Der größere Boxer versucht, seine Reichweite auszunutzen.

Ihr Gegner in Düsseldorf wird Eddie Chambers sein: 1,85 Meter. Sie sind knapp zwei Meter. Den können Sie am langen Arm verhungern lassen.

Klitschko: Natürlich werde ich meine Vorteile im Boxring ausnutzen. Ich werde versuchen, meine Körpergröße und meine eigene Schnelligkeit einzusetzen.

Draußen brandet Jubel auf. Klitschko registriert das sofort.

Klitschko: Wir haben ein Tor geschossen? 1:0. Gut so. Ich will den Jungs doch Glück bringen!

Zurück zu Chambers. Was kann der Ihnen anhaben?

Klitschko: Chambers hat bewiesen, dass er gegen große Boxer bestehen kann. Er hat gegen Alexander Dimitrenko gewonnen, und der ist sogar noch größer als ich. Chambers ist sehr schnell, hat eine gute Verteidigung und boxt sehr unorthodox. Er ist ein schwerer Brocken und war noch nie am Boden. Aber ich versichere Ihnen, ich werde den Kampf gewinnen.

Es gibt kaum Boxer, die so durchtrainiert aussehen wie Sie und Ihr Bruder. Die meisten Ihrer Herausforderer haben einfach mehr Speck auf den Rippen.

Klitschko: Fürs Boxen gilt: Man kann auch weniger fit aussehen und dann trotzdem die volle Distanz gehen, weil man vielleicht alle anderen Qualitäten mitbringt. Boxen verlangt Technik und Taktik, Strategie und Schlagkraft. Es ist wohl die einzige Sportart, bei der kein Doping hilft. Muskeln spielen gar keine Rolle im Boxsport. Man muss zwar eine gewisse Stärke haben, aber die Muskelmasse ist nicht entscheidend.

Wie wichtig ist dieser Kampf für Sie und Ihre Karriere?

Klitschko: Für mich ist dieser Kampf genauso wichtig wie mein letzter Kampf. Jeder Kampf ist wie ein Finale. Boxen ist ein K.o.-Sport. Wenn du verlierst, bist du weg. Ich will natürlich auf der Siegerseite bleiben und bin sehr aufgeregt. Immerhin werden hier rund 50 000 Zuschauer live dabei sein, der Kampf wird in über 100 Länder übertragen.

Und was bedeutet es Ihnen, in einem Stadion anzutreten, in dem sonst Fußball gespielt wird?

Klitschko: Ich habe das ja im vorigen Jahr auf Schalke schon erlebt. Es ist faszinierend, da werden dann auch beim Boxkampf schon mal Fußballlieder angestimmt.

In Deutschland haben Sie seit 2003 nicht mehr verloren. Wie wichtig ist der Heimspiel-Faktor?

Klitschko: Ehrlich gesagt bin ich sogar noch motivierter, wenn das Publikum gegen mich ist. Man trägt bei einem Kampf vor heimischem Publikum die Last und die Verantwortung. Da Chambers, wie gesagt, ein schwerer Brocken wird, muss ich ihn am besten ausknocken.

In diesem Moment schießt Fortuna Düsseldorf das zweite Tor gegen Duisburg. Klitschko jubelt.

Klitschko: Super. So läuft es richtig. So soll es auch beim Boxkampf sein. Am Ende ein klarer Sieg – das ist wichtig.

Ich wollte auf das Thema Heimat hinaus. Wo fühlen Sie sich denn zu Hause? Sie sind Ukrainer, leben in Hamburg, verbringen aber auch viel Zeit in den USA.

Klitschko: Ich habe zwar einen ukrainischen Pass, aber Deutschland ist mein Zuhause. Ich fühle mich wie ein Adoptivkind, nicht wie ein Ausländer. Die Begeisterung fürs Boxen ist hier so groß, wir haben wahnsinnig viele Anhänger hier, die mitfiebern und mitzittern. Was in diesem Land passiert, ist mir nicht egal. Ich stehe voll hinter Deutschland. Nur bei der kommenden Fußball-Europameisterschaft in der Ukraine natürlich nicht ...

Drei große Weltmeistertitel haben Sie und Ihr Bruder schon. Ist schon endgültig klar, wer von Ihnen beiden sich den letzten, noch fehlenden der WBA von David Haye holen soll? Zuletzt war ja von einem Vorvertrag zwischen Vitali und Haye die Rede. Klitschko: Nein, das stimmt so nicht. Es kann in jede Richtung gehen. Wir haben das kürzlich diskutiert. Ich habe zu Vitali gesagt, dass ich gegen David Haye boxe. Wir haben deswegen ja schon mal eine Münze geworfen.

Ach, so läuft das bei Ihnen ...

Klitschko: Genau! Den Münzwurf habe ich gewonnen. Doch dann lehnte Haye den Kampf ab. Dann war Vitali am Zug. Doch Haye hat wieder abgelehnt. Jetzt wünsche ich mir, wieder dran zu sein. Ich habe noch eine persönliche Rechnung mit ihm offen.

Inwiefern?

Klitschko: Ich akzeptiere nicht, dass er sich hinstellt mit Bildern von geköpften Häuptern meiner Familienmitglieder. Das geht eindeutig zu weit, und ich möchte ihm deshalb gerne im Ring eine Lektion in gutem Benehmen erteilen.

Und wenn am Ende alle vier Titel in den Händen der Klitschko-Brüder wären, müssten Sie Schluss machen mit dem Boxen, weil Sie sich ja nicht gegenseitig herausfordern wollen?

Klitschko: Genau. Dann könnten wir darüber reden. Das wäre natürlich ein traumhafter Abschluss. Gegeneinander werden wir nicht antreten, dabei bleibt es.

Ihr Bruder arbeitet bereits an einer zweiten Karriere, er engagiert sich politisch in der Ukraine, kandidiert fürs Bürgermeisteramt in Kiew. Ist Politik mit Boxen zu vergleichen?

Klitschko: Vitali hat mir gesagt: Im Boxsport gibt es Regeln, in der Politik nicht. Im Boxring sieht man den Gegner und was er macht. In der Politik läuft vieles anders, teilweise ohne feste Regeln ab. Beim Boxsport kriegt man vielleicht ein blau- es Auge, in der Politik kann es anders laufen, wie man beispielsweise am Gesicht von Wiktor Juschtschenko sieht, das seit einer Dioxinvergiftung entstellt ist.

Was war oder ist ihr härtester Kampf fernab des Boxrings?

Klitschko: Mein härtester Kampf ist definitiv gegen mich selbst.

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